People Pleasing oder Fawning? Über den schleichenden Übergang in die Selbstaufgabe
- Juliane Götze
- 3. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Aug.
Ich würde mich selbst durchaus als „People Pleaserin“ bezeichnen. Ich bin charmant, empathisch, zugewandt – ich versuche oft, die Stimmung im Raum aufzufangen und auszugleichen. Ich bin schnell mit einem Lächeln, einem Kompliment oder einem klugen Kompromiss. Lange habe ich das als soziale Stärke gesehen. Und vielleicht ist es das auch - in gesunden Zusammenhängen.

Doch rückblickend weiß ich: Irgendwann wurde aus meinem Wunsch, zu gefallen, ein Automatismus des Überlebens.
Ich habe nicht mehr nur gefallen wollen – ich musste. Ich habe Grenzen verwischt, mich innerlich zurückgezogen, Widerstand unterdrückt. Ich habe gespürt, was mein Gegenüber sehen wollte – und es geliefert. Nicht mehr aus freiem Willen, sondern aus einem reflexhaften Schutzmechanismus. Das war kein People Pleasing mehr - das war Fawning.
Fawning ist ein Begriff aus der Traumapsychologie.
Er beschreibt eine Stressreaktion - vergleichbar mit „Fight“, „Flight“ oder „Freeze“. Nur dass man dabei nicht kämpft, nicht flieht, nicht erstarrt - sondern sich anpasst, um sich zu schützen. Man wird „angenehm“, „unkompliziert“, „ungefährlich“. Manchmal sogar besonders charmant oder schmeichelnd. Aber innerlich verliert man dabei den Kontakt zu sich selbst.
Was diese Dynamik so tückisch macht: Der Übergang ist fließend.
Gerade Menschen, die ohnehin gerne geben, die aufmerksam und verbindlich sind, die empathisch und diplomatisch auftreten, genau diese Menschen bemerken oft nicht, wann ihr Verhalten kippt. Wann sie aufhören, aus innerer Überzeugung zu handeln - und beginnen, sich selbst zu verlassen, um Sicherheit zu gewinnen.
Und auch das Umfeld merkt es selten. Denn nach Außen bleibt man „lieb“, „professionell“, „unkompliziert“. Nur innerlich passiert ein Bruch. Ein stiller, kaum wahrnehmbarer. Ein Bruch, den man selbst oft erst spürt, wenn es längst zu spät ist.
Ich habe diesen Bruch selbst erlebt - und lange nicht verstanden. Rückblickend weiß ich, dass mein Trauma nicht erst mit der Vergewaltigung durch einen Geschäftspartner begann.
Es begann früher.
Es begann mit den vielen kleinen Grenzüberschreitungen meines damaligen Vorgesetzten. Mit seinem Verhalten, das irgendwie „noch ok“ war - aber mir bereits körperlich unangenehm. Mit Andeutungen, Berührungen, verbalen Zweideutigkeiten. Mit Machtspielchen und kontrollierendem Verhalten, das nicht benannt werden durfte.
Und mit meinem Lächeln. Meiner Anpassung. Meinem Versuch, das Ganze irgendwie zu „managen“, um durchzukommen.
Ich war freundlich. Ich war charmant. Ich war verständnisvoll. Und ich war still.
Nicht, weil ich einverstanden war – sondern weil mein System in Fawning gefallen war.
Ich habe mich innerlich zurückgezogen, um äußerlich weiter zu funktionieren. Ich habe nicht Nein gesagt - nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil ich nicht mehr konnte.
Ich glaube, genau deshalb sind Grenzverletzungen im beruflichen Umfeld so schwer greifbar.
Das Trauma beginnt nicht erst mit dem „eindeutigen“ Übergriff. Es beginnt mit der Verwirrung. Mit der Ohnmacht. Mit dem inneren Rückzug.
Und mit einem System, das solche Dynamiken übersieht – oder sie billigend in Kauf nimmt.
Zwischen Anpassung und Aufbegehren: Warum wir nicht immer Ja sagen müssen
„Du willst es halt immer allen recht machen.“ Diesen Satz habe ich oft gehört. egal ob ich beruflichen oder im privaten Kontext. Und ja - ich war hilfsbereit. Kooperativ. Nett.
Ich war die, die mit anpackt, die still leidet, der nichts zu viel ist.
Aber was auf den ersten Blick wie klassische Nettigkeit aussieht, ist oft viel mehr. Hier kommen wir zum Unterschied zwischen dem in letzter Zeit viel zitierten "People Pleasing" und dem verhängnisvollen "Fawning". People Pleasing kann eine Strategie sein, um gemocht zu werden. Um dazuzugehören. Um Konflikte zu vermeiden. Doch Fawning geht tiefer.
Fawning ist keine Entscheidung - es ist ein Reflex. Eine Überlebensstrategie. Entstanden in einem System, in dem der Preis für Widerstand zu hoch ist.
Der Unterschied ist entscheidend:
People Pleasing | Fawning |
basiert auf dem Wunsch nach Zugehörigkeit | basiert auf Angst und erlebter Ohnmacht |
ist sozial erlernt | ist traumabedingt |
kann aktiv verändert werden | muss zuerst erkannt und verarbeitet werden |
wirkt freundlich | maskiert eine tiefe Selbstverleugnung |
Doch egal, ob People Pleaser oder von Fawning geprägt - die Konsequenz ist oft dieselbe:
Wir verlieren uns selbst im Bemühen, für andere richtig zu sein.
Wir sagen Ja, obwohl wir Nein meinen.
Wir lächeln, obwohl uns schlecht ist.
Wir schweigen, obwohl wir längst schreien sollten.
Und wir verwechseln Anpassung mit Stärke.
Loyalität mit Liebe.
Funktionieren mit Erfolg.
Dabei liegt die wahre Stärke im Widerstand.
Im ehrlichen Nein.
Im gesunden Abstand.
Im Schutz der eigenen Wahrheit - selbst wenn es unbequem ist.
In einer Welt, in der vor allem Frauen zur Anpassung erzogen werden, braucht es Mut, die eigenen Grenzen nicht nur zu fühlen, sondern sie auch zu ziehen.
Nicht später. Nicht irgendwann. Sondern jetzt!
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Wenn Du Dich dabei ertappst, „zu nett“ zu sein – frag Dich:
Will ich gerade dazugehören? Oder will ich mich schützen?
Diene ich mir selbst - oder nur dem Frieden?
Manchmal beginnt Selbstwirksamkeit genau dort, wo man zum ersten Mal sagt:
„Nein. Nicht mit mir.“
Und manchmal reicht dieser eine Moment, um den Kurs zu ändern.
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